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Interviews, Videos & GastartikelVeröffentlicht am 26. November 2024

«Die Arbeit der Strategieschöpfung ist wie Sicherheitspolitik selbst: eine Verbundaufgabe»

Interview von Staatssekretär Markus Mäder im Bulletin 2024 zur schweizerischen Sicherheitspolitik des Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.

26.11.2024 | Interview: Center for Security Studies, ETH Zürich, Andreas Wenger und Daniel Möck

Die Schaffung des SEPOS basiert auf der Erkenntnis, dass die Bedrohungslage der Schweiz und die sicherheitspolitischen Herausforderungen eine neue Dimension angenommen haben. Deshalb entschied der Bundesrat, dass die Sicherheitspolitik einer institutionellen wie auch inhaltlichen Aufwertung bedarf. Ich habe mir drei Ziele gesteckt: Erstens geht es darum, das SEPOS rasch und glaubwürdig zu etablieren und den Auftrag des Bundesrats greifbar und sichtbar umzusetzen. Dazu, zweitens, müssen wir uns vernetzen, uns in der sicherheitspolitischen Landschaft positionieren und unserer Aufgabe entsprechend für die Kohärenz und das umfassende Zusammenwirken der sicherheitspolitischen Akteure sorgen. Drittens haben wir neue Kompetenzen aufzubauen, etwa die Stärkung der Informationssicherheit und die sicherheitspolitische Antizipation. Das SEPOS positioniert sich so als Kompetenzzentrum für Sicherheitspolitik des Bundes.

Und wie sieht die Zwischenbilanz aus? Wo geht es voran? Wo klemmt es noch?

Es wird nicht jeden Tag ein Bundesamt oder gar ein Staatssekretariat gegründet. Dies umzusetzen ist ein Privileg. Und an manchen Tagen auch ein Kampf. Es geht aber insgesamt gut voran. Wir stellen fest, dass viele Akteure die Interaktion mit dem SEPOS suchen. Das Interesse in der Politik und in den Medien ist gross – nicht nur an uns als Amt, sondern vor allem an unserer Rolle und den Inhalten, mit denen wir uns angesichts der verschärften Sicherheitslage im Umfeld der Schweiz beschäftigen. Es gibt viele inhaltliche Herausforderungen und hohe Erwartungshaltungen, die nicht alle gleichzeitig erfüllt werden können. Sicherheitspolitische Geschäfte sind zahlreich und hoch dynamisch.

Als erster Schweizer Staatssekretär für Sicherheitspolitik überhaupt finden Sie vermutlich mehr Gestaltungsspielraum vor als in fest etablierten Bürokratien. Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Gestaltungsspielraum ist vorhanden, er sollte aber nicht überschätzt werden. Wir sind Teil der Bundesverwaltung, und wir handeln nach den Beschlüssen des Bundesrates. Unser Gestaltungsspielraum besteht in erster Linie bei der internen Führung und Organisation sowie bei der Priorisierung des externen Netzwerks. Wir spüren, dass verschiedene Politikfelder zunehmend mit der Sicherheitspolitik verknüpft sind – der Bedarf an Koordination und Austausch über Ämter- und Departementsgrenzen hinaus ist dadurch gestiegen. Das bedeutet für die tägliche Arbeit des SEPOS eine hohe Anzahl an Besprechungen mit sicherheitspolitisch relevanten Stellen innerhalb und ausserhalb des Bundes. Zu unserem Alltag gehört auch, gegenüber der Politik Geschäfte zu vertreten und Referate zu halten über die Sicherheitslage, die sicherheitspolitischen Stossrichtungen des Bundesrates und unsere Arbeit. In der Praxis ist sodann ein guter Teil meines Tages auch Verwaltungsmanagement. Ein Instagram-Kanal «StaatssekretärSEPOS» wäre wahrscheinlich nicht so bildgewaltig.

Hat Sie etwas besonders überrascht?

Was mich besonders positiv überrascht hat, ist das immense Interesse aus Politik, Medien und Öffentlichkeit an der Sicherheitspolitik, auch wenn die Veranlassung – die besorgniserregende Sicherheitslage – bedauerlich ist. Nicht eigentlich überrascht, aber doch besonders gefreut hat mich, welch ausgezeichnete Kolleginnen und Kollegen ich im SEPOS angetroffen habe; ich darf mich in meiner Funktion auf die Unterstützung eines ausgesprochen kompetenten und engagierten Teams verlassen.

Wir erfuhren auch einige Reality Checks, sprich Umstände und Aufgaben, die sehr viel mehr Zeit und Energie in Anspruch nehmen, als zu erwarten war. Reality Check Nummer 1 sind die Komplexität und Erwartungen im Bereich der Informationssicherheit, die sich aus dem per Anfang 2024 in Kraft gesetzten neuen Informationssicherheitsgesetz ergeben. Diese ist schlicht Voraussetzung für jegliche Sicherheitspolitik: Ohne den Schutz und die Vertrauenswürdigkeit unserer Information gibt es überhaupt keine Sicherheit; mit den gewachsenen Herausforderungen sind auch die Anforderungen gestiegen, für die Bundesverwaltung im Allgemeinen und für die im SEPOS eingegliederte Fachstelle des Bundes für Informationssicherheit im Besonderen.

Reality Check Nummer 2 ist die Erkenntnis, wie aufwendig es ist, sich als Bundesamt im bestehenden Verwaltungsgefüge zu etablieren, Zuständigkeiten zu klären und die nötigen Querschnittsbereiche aufzubauen. Es geht nicht ohne die Führungsunterstützung eines Stabes, der sich auch um die Bereiche Personal, Recht, Finanzen, Kommunikation, Controlling und vieles mehr kümmert. Damit die Abteilungen unseren Kernaufgaben in der Sicherheitspolitik nachgehen und im intensiven Tagesgeschäft bestehen können, müssen die Rahmenbedingungen auf Stufe Bundesamt stimmen.

Gemäss Organisationsverordnung VBS stellt das SEPOS «übergeordnete konzeptionelle Grundlagen für eine kohärente Sicherheitspolitik» und eine «gesamtheitliche und vorausschauende Sicherheitspolitik auf strategischer Ebene» sicher. Bei weiteren Funktionen wie der Erarbeitung von Grundlagen und Vorgaben für die Verteidigungs- und Rüstungspolitik bleibt hingegen unklar, ob das SEPOS «führt», «koordiniert» oder «begleitet». Wie interpretieren Sie den Auftrag?

Diese sehr offene Formulierung unseres Mandats ist kein Zufall. Es soll der Departementsführung die in sicherheitspolitischen Geschäften oft nötige Flexibilität geben: Manche politisch relevanten Geschäfte werden von anderen Ämtern geführt, so zum Beispiel die Armeebotschaft durch die Gruppe Verteidigung. Dort begleiten wir und stellen sicher, dass die sicherheitspolitischen Vorgaben eingehalten werden. Bei anderen Geschäften liegt die Federführung bei uns, so etwa bei der Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems, die sowohl Armee als auch Bevölkerungsschutz betrifft. Und in wieder anderen Bereichen haben wir eine koordinierende Rolle, etwa in der internationalen Zusammenarbeit, wo wir für die Kohärenz der mannigfaltigen internationalen Aktivitäten des Departements sorgen.

Allgemein gilt: Das Departementalsystem und der Föderalismus geben weiterhin den Handlungsrahmen vor, auch in der Sicherheitspolitik, auch für das SEPOS. Dies ist kein Nachteil, im Gegenteil. Die Stärke der Schweizer Sicherheitspolitik liegt im Verbund, so dass für jede Aufgabe die relevanten Akteure am Tisch sind und gemeinsame Lösungen entwickeln. Deshalb passt für mich das Bild des Orchesters: Gute Musik entsteht durch das harmonische Zusammenwirken des Komponisten, des Dirigenten und der verschiedenen Instrumente. In der Sicherheitspolitik des Bundes verkörpert das SEPOS gewissermassen die Rolle des Dirigenten.

Bezüglich Kompetenzaufbau SEPOS: Im Interview des Bulletins 2023 wies der damalige Bundeskanzler Walter Thurnherr darauf hin, dass der Bund die verschiedenen Früherkennungseinheiten der Departemente zumindest für den Krisenfall «zusammennehmen» wolle. Nun investieren sowohl das SEPOS als auch das Policy Planning im EDA in weitere Fähigkeiten zur Antizipation. Wie sehen Sie hier die Arbeitsteilung innerhalb der Bundesverwaltung?

Mehrere Dienststellen machen Früherkennung oder Antizipation. Dies stellen wir nicht in Frage, es braucht die jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Themenbereiche. Das SEPOS fokussiert auf die Früherkennung sicherheitspolitischer Herausforderungen und Chancen; es nimmt also eine sicherheitspolitische Perspektive ein. Wir nehmen selektiv Themen auf, bauen auf bestehenden Lageeinschätzungen auf und ziehen Wissen zusammen. Wir bereiten die Themen dann stufengerecht zuhanden der sicherheitspolitisch-strategischen Führungsebene auf, etwa für die VBS-Leitung oder die interdepartementalen Gremien, die wir koordinieren, insbesondere die Kerngruppe Sicherheit und den Sicherheitsausschuss des Bundesrats. Einiges findet also im eigenen Departement statt, doch es gibt interdepartementale Austauschformate und Gremien, damit nicht jeder in seinem Silo arbeitet. Gerade bei Antizipation muss man breit denken und offen sein für mögliche Lageentwicklungen und die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Themen und Politikfeldern. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und technologische Entwicklungen sind mehr und mehr mit Fragen der nationalen Sicherheit verschränkt. Die Absicht des ehemaligen Bundeskanzlers wird nun in der neuen Krisenorganisation der Bundesverwaltung umgesetzt, zu deren Aufgaben ausserhalb der Krise auch die Krisenantizipation zählt. Und diese ist eine Verbundaufgabe der verschiedenen Antizipationsstellen, jene des SEPOS eingeschlossen.

Und wie arbeiten das SEPOS und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zusammen in diesem Bereich? Wer macht was?

Wir arbeiten eng zusammen bei zahlreichen Aufgaben, und wir stützen uns auf die Lageeinschätzungen und die Methodenkenntnisse des NDB im Bereich Antizipation. Zu ähnlichen Themen haben wir aber ganz andere Blickwinkel: Der NDB macht eine nachrichtendienstliche Beurteilung der Lageentwicklungen, etwa über die militärischen Potenziale der Kriegsparteien in der Ukraine und in welche Richtung sich der Krieg bewegt. Das SEPOS leitet politische Fragen und Handlungsempfehlungen für die politische Führung ab, etwa solche, die sich für die Weiterentwicklung der Schweizer Sicherheitspolitik aus der Lageentwicklung in der Ukraine und aus der Kooperationsdynamik im europäischen Umfeld ergeben.

Derzeit wird die Sicherheitspolitische Strategie 2025 erarbeitet, das SEPOS ist dabei federführend. Inwiefern wird diese «Strategie» einen anderen Charakter haben als die bisherigen Sicherheitspolitischen «Berichte»?

Zum einen von der Methodik und Struktur her, zum andern auch von der Substanz her sind wir strategischer unterwegs. Die Lageentwicklung zwingt dazu, dass die Schweiz klarer darlegt, wie wir mit den erkannten Bedrohungen und Gefahren besser umgehen, wie wir vorsorgen, wie die sicherheitspolitischen Akteure zusammenarbeiten und wie sie sich gegenseitig unterstützen. Die hybride Konfliktführung ist für mich ein zentrales Beispiel: Die Schweiz ist schon heute betroffen von Cyberangriffen, Spionage, Desinformation und Versuchen zur Sanktionsumgehung. Diese zu erkennen und abzuwehren ist tägliche Aufgabe vieler Beteiligter. Dies umfasst zivile und militärische Mittel und alle Staatsebenen. Zu Desinformation etwa spielen nachrichtendienstliche Erkenntnisse eine Rolle, doch der Schutz und die Resilienz der Schweiz hängen stark von der Medienlandschaft, der Kommunikation der Regierung und der politischen Bildung der Bevölkerung ab. Solche Zusammenhänge zu benennen ist ein Beispiel dafür, was die Strategie aufzuzeigen und zu stärken versucht. Was bleibt, ist wie in jedem Grundlagenpapier des Bundesrates: Wir erarbeiten es gemeinsam mit allen Departementen, der Bundeskanzlei und den Kantonen. Eine Vernehmlassung ist auch vorgesehen – dies braucht Zeit und bedingt das Eingehen gewisser Kompromisse, sorgt aber im Resultat für eine breit abgestützte Strategie.

Für die Erarbeitung der Strategie wurden zwei Arbeitsgruppen «Strategie» und «Instrumente» eingesetzt. Wo sehen Sie die grösste Herausforderung in diesen Arbeiten?

Das parallele Arbeiten in zwei Arbeitsgruppen ist komplex: Die erste erarbeitet aus der sicherheitspolitischen Lage und den Eigenschaften der Schweiz strategische Leitgedanken, die Stossrichtungen der Strategie. Die zweite Gruppe arbeitet aus, welche Ziele die Sicherheitspolitik der Schweiz entsprechend verfolgen soll, und auf welchem Weg und mit welchen Akteuren und Mitteln diese umzusetzen sind. Bei all dem wollen wir konkret sein. Beispielsweise: Welche Herausforderungen ergeben sich für die Schweiz aus den zunehmenden Spannungen zwischen den Grossmächten? Wie ist genau das Zusammenwirken von Bund, Kantonen, Wirtschaft und Wissenschaft beim Schutz kritischer Infrastrukturen?

Die Brainpower von zwei Arbeitsgruppen auf verschiedenen Flughöhen erarbeitet dies. Es sind dabei Vertreter derjenigen Stellen einbezogen, welche für diese Themen und die Umsetzung letztlich zuständig sind; das ist zentral. Diese Arbeit der Strategieschöpfung ist also wie Sicherheitspolitik selbst: eine Verbundaufgabe. Der Geist ist gut und konstruktiv, wir kommen voran.

Die politische Diskussion der Instrumente konzentriert sich stark auf die Armee. Welche weiteren Instrumente sehen Sie besonders gefordert, wenn es um die Anpassung an die sich verändernde Lage geht?

Um der heutigen Lage gerecht zu werden, sind es gerade nicht einzelne Instrumente, die besonders gefordert sind, sondern ihr Zusammenwirken, militärisch und zivil, auf Bundes- und auf kantonaler Ebene, in gewissen Bereichen auch mittels öffentlich-privater Kooperation.

Um auf Ihre Feststellung zur politischen Diskussion zurückzukommen: Dass die Armee im Zentrum steht, hat damit zu tun, dass die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit in finanzieller und zeitlicher Hinsicht besonders anspruchsvoll ist. Es geht um Investitionen im Umfang von Milliarden und einem Zeithorizont von Jahrzehnten, wozu es Grundsatzentscheide über die Ressourcenallokation auf strategischer Ebene braucht. Das fordert die Politik in besonderem Masse. Es ist gleichzeitig unbestritten, dass die Sicherheitspolitik mehr umfasst als die Armee. Unsere Herausforderung ist es, die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz eben umfassend zu verstehen, sodass sie auch Cybersicherheit, Bekämpfung von Desinformation, den Schutz kritischer Infrastrukturen, die Spionageabwehr, Bekämpfung von Terrorismus, Gewaltextremismus und schwerwiegender Kriminalität, die Resilienz von Staat und Gesellschaft und viele weitere Bereiche enthält, die über die Rolle der Armee hinausgehen.

Heute ist wieder viel von «Gesamtverteidigung» die Rede. Inwieweit taugen solche Konzepte und Begriffe aus der Zeit des Kalten Kriegs für die Zukunft?

Der Begriff der «Gesamtverteidigung» ist zweifellos historisch besetzt und teilweise auch überholt. Wir sind nicht in einer Neuauflage des Kalten Kriegs, die Welt ist eine andere – das europäische Sicherheitsumfeld, aber auch gewisse Rahmenbedingungen der Schweiz haben sich verändert. Beispielsweise gab es damals noch keinen Cyberraum. Klimawandel, Urbanisierung und Digitalisierung haben neue Herausforderungen, Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten, teilweise auch neue Möglichkeiten geschaffen, und auch die grenzüberschreitende Vernetzung unserer kritischen Infrastrukturen war noch weniger ausgeprägt. Wir sollten uns also nicht von einem historischen Begriff konzeptionell zu stark einschränken lassen. Der Kerngedanke jedoch ist weiterhin aktuell und handlungsleitend: dass nämlich für eine umfassende Verteidigung und nationale Sicherheitsvorsorge militärische und zivile Mittel aufeinander abzustimmen sind. Diesen Ansatz des ganzheitlichen Verbundes sollten wir übernehmen, müssen ihn aber weiterentwickeln und den aktuellen Gegebenheiten anpassen.

Wo sehen Sie die Prioritäten bei der Stärkung der militärischen Fähigkeiten?

Zunächst scheint mir wichtig zu verstehen, dass die Armee ihr Fähigkeitsprofil auf ein breites Spektrum von Bedrohungen ausrichtet. Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit bedeutet nicht eine Beschränkung auf Panzer und Artillerie, sondern die Fähigkeit, in einer unberechenbaren Lage auf möglichst viele Bedrohungen reagieren zu können. Dazu muss die Armee als Gesamtsystem in sämtlichen Wirkungsräumen funktionieren, was auch in der Armeebotschaft 2024 dargelegt worden ist. Wenn ich daraus einen Fähigkeitsbereich besonders hervorheben müsste, wäre es wohl die Abwehr gegen Bedrohungen aus der   Luft. Auch darauf hat die Armee schon 2017 im Grundlagenbericht zur Luftverteidigung der Zukunft hingewiesen, seither haben sich diese Bedrohungen noch einmal deutlich akzentuiert; wir sehen die Bedeutung von ballistischen Lenkwaffen, Marschflugkörpern und Drohnen gerade in mehreren laufenden Konflikten. In Kombination mit Robotik und künstlicher Intelligenz läuft in der Luftkriegführung gerade ein besonders energischer Wettlauf zwischen wachsenden Bedrohungen und der Entwicklung von Abwehrmöglichkeiten.

Schliesslich ist die internationale Kooperation zu nennen. Ohne sie werden wir unsere Verteidigungsfähigkeit nur beschränkt stärken können. Die Zusammenarbeit mit Partnern stärkt unser Lageverständnis, unser Wissen und Können – und verschafft uns im Ernstfall Handlungsfreiheit.

Die innenpolitische Polarisierung hat zugenommen, die Schweiz ringt um ihre Positionierung in der Welt und ihre sicherheitspolitische Antwort auf den Wandel des Umfelds. Welche Beiträge von Think-Tanks wie dem Center for Security Studies (CSS) erachten Sie in einem solchen Kontext als besonders wichtig?

Sachbezogene und wissenschaftlich gestützte Beiträge zur politischen Debatte sind in diesem Kontext sehr wichtig. Das CSS kann sicherheitspolitisch relevante Entwicklungen beurteilen, etwa den Zustand der internationalen Ordnung, eines regionalen Kontexts, technologische Entwicklungen oder Dynamiken auf dem Rüstungsmarkt. Wenn CSS-Mitarbeitende an einem Vortrag einem interessierten Publikum Hintergründe geben können, wenn sie mit einer Studie unseren Fachexperten in einem Ländervergleich neue Blickwinkel aufzeigen oder wenn ein Parlamentsmitglied oder jemand wie ich in einer Kurzanalyse von Ihnen einen neuen Denkanstoss erhält, scheint mir das ein Gewinn. Schliesslich besteht ganz allgemein ein Bedarf, das sicherheitspolitische Bewusstsein in der Schweiz zu schärfen; auch hier leistet das CSS mit seiner Denk- und Vermittlungsarbeit einen wichtigen Beitrag.

In Ihrer Erfahrung: Wie wird die Schweiz heute in Europa als Sicherheitsakteurin wahrgenommen?

Die Schweiz wird immer noch als verlässliche Partnerin wahrgenommen – auch weil sie sich gegenüber der völkerrechtswidrigen russischen Aggression klar positioniert hat und die Sanktionen mitträgt. Gleich zeitig hat die Schweiz – trotz anderslautender Unkenrufe aus Moskau – das Neutralitätsrecht stets eingehalten. Es liegt aber auch im Interesse der Schweiz, als konstruktive und solidarische Partnerin wahrgenommen zu werden, die ihren Beitrag zur Sicherheit in Europa leistet. Und hier sind die Erwartungen unserer euroatlantischen Partner klar, insbesondere wollen sie nicht in ihrer Unterstützung der Ukraine durch Wiederausfuhrverbote gehindert werden. Zudem wünschen sie sich gerade von den neutralen Ländern Europas ein aktives Vorgehen gegen verbotenen Nachrichtendienst oder Beiträge in der Friedensförderung. Gerade bei letzterem hat die Schweiz einen sehr guten Leistungsausweis, sie trägt wesentlich zur Stabilität im Westbalkan bei.

In der Frage einer vertieften Sicherheitskooperation mit NATO und EU ist die Schweiz uneins. Offen ist aber auch, inwieweit überhaupt die NATO ihrerseits an mehr Kooperation interessiert wäre. Wie beurteilen Sie das?

Meines Erachtens ist das nicht offen: Die NATO hat wiederholt erklärt und auch demonstriert, dass sie an einer Vertiefung der Kooperation mit der Schweiz interessiert ist. Das Individually Tailored Partnership Programme (ITPP), also das Kooperationsprogramm, das wir im letzten Herbst mit der NATO abgeschlossen haben, zeugt von diesem beidseitigen Interesse.

Gleichzeitig drängt uns die NATO zu nichts, sie respektiert die aussen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen der Schweiz; es ist uns überlassen zu definieren, in welchen Bereichen und in welchem Aus mass die Zusammenarbeit ausgebaut werden soll. Unsere Grenzen sind dabei auch bekannt: Als neutraler Staat gehen wir keine Verpflichtungen oder Verpflichtungen gleichkommende Sachzwänge ein. Bis zu dieser roten Linie ist aber viel möglich. Gerade vor diesem Hintergrund spüren wir auch, dass unsere europäischen Partner die Bemühungen der Schweiz anerkennen, für ihre eigene Sicherheit und Verteidigung zu sorgen und im Rahmen der Neutralität die internationale Kooperation zu vertiefen.

NATO und EU haben natürlich ein Interesse daran, dass im Herzen Europas kein Sicherheitsvakuum entsteht, das etwa für die hybride Konfliktführung missbraucht werden könnte.

Welche Stärken könnte die Schweiz denn einbringen?

Die Schweiz hat Stärken und Erfahrungen im ganzen Spektrum der Friedensförderung – militärisch und zivil, seien es «boots on the ground» oder Fachexpertise und kostspielige Spezialleistungen, Ausbildung, Begleitung von Reformprozessen und Mediation. Auch wenn die Friedensförderung in der aktuellen Lage einen schweren Stand hat – sie ist wichtiger denn je, und Beiträge wie jene der Schweiz werden sehr geschätzt.

Die Schweiz ist aber auch eine attraktive Partnerin, weil sie Spitzentechnologie und attraktive Forschungsstandorte zu bieten hat, die auch für Innovationen im Verteidigungsbereich genutzt werden können. Seit sich Europa wieder intensiv mit militärischer Abschreckung und Territorialverteidigung sowie ganzheitlichen Abwehrfähigkeiten befasst, stossen auch die Erfahrungen und Konzepte der Schweiz zu Fragen des zivil-militärischen Verbundes, des Miliz- und Dienstpflichtsystems und   der Mobilmachung auf grosses Interesse.

Die Partnerschaft für den Frieden (PfP) hat als Partnerschaftsmodell an Glanz eingebüsst, heute setzt man in Brüssel schwergewichtig auf andere, auch globale Formate. Welche Überlegungen stellt man im SEPOS hierzu an?

Auch wenn die NATO neue, globale Formate entwickelt hat: die Partnerschaft für den Frieden bleibt das wichtigste Zusammenarbeitsformat für ihre europäischen Partner. Mit der Einführung individueller Partnerschaftsprogramme, wie ich es zuvor erwähnt habe, ist die Kooperation massgeschneiderter und spezifischer geworden, was für beide Seiten   gewinnbringend ist. Der institutionelle Rahmen bleibt also unverändert, aber der Inhalt ist fokussierter und flexibler geworden, abgestimmt auf den jeweiligen Partner. Klar ist auch, dass Kooperation heute nicht mehr gratis, kein Selbstbedienungsladen, ist. Wer profitieren will, muss im Gegenzug etwas bieten können. Wir haben die Kooperation in den letzten Jahren schon   stärken können, weil wir uns auch bereit gezeigt haben, etwas zu leisten. Etwa in Kosovo haben wir unseren Beitrag in der KFOR aufgestockt, als Österreich sein Kontingent verkleinern musste und die NATO uns um Unterstützung bat; das war ein wichtiges Zeichen.

Um abschliessend noch einmal an den Anfang des Interviews zu kommen: was wollen Sie nach diesem insgesamt optimistisch stimmenden ersten Jahr SEPOS bis zum Ende der Legislatur erreichen?

Die Legislatur ist nicht unser hauptsächlicher Orientierungsrahmen, denn die meisten für die Schweizer Sicherheitspolitik relevanten Projekte und Grundlagen laufen weiter, auch wenn dazwischen Wahlen stattfinden. Unsere Ziele für die nächsten Jahre sind die Konsolidierung des SEPOS und seiner Koordinationsrolle wie auch unserer Beziehungen zu Partnern im In- und Ausland. Der Verbundgedanke liegt ja unserer Arbeit immer zugrunde und ist ein Schlüsselfaktor für die Auftragserfüllung. Wir erarbeiten 2025 die Sicherheitspolitische Strategie der Schweiz und begleiten anschliessend ihre Umsetzung in allen   betroffenen Politikfeldern. Zudem legen wir dem Bundesrat zum Beispiel Vorschläge für die Weiterentwicklung des Dienstpflichtsystems vor, bauen Kompetenzen in der sicherheitspolitischen Antizipation sowie beim Umgang mit Desinformation aus und gewährleisten die Umsetzung des neuen Informationssicherheitsgesetzes. Seitens VBS engagieren wir uns auch intensiv in der sicherheitspolitischen Bewusstseinsbildung. Es reicht nicht, Sicherheitspolitik in Grundlagendokumenten zu formulieren; sie muss tagtäglich erklärt, diskutiert und weiterentwickelt werden. Dafür braucht es den fortlaufenden Dialog mit allen Beteiligten, von Verwaltung, Parlament und Wissenschaft über Medien bis Öffentlichkeit.